Netaudio Festival 09, Maria Berlin

Beim Geld hört der Spaß auf

Gedanken bezüglich einer kommerziellen Nutzung von Netaudio Musik

von Raimund Reintjes

Gerade diese Woche komme ich zurück vom Fusion Festival, diesem viertägigen Spektakel auf einem Festivalgelände in Lärz (Mecklenburg-Vorpommern), das zur Nazi-Zeit – und auch danach von den Sowjets – als Militärflugplatz genutzt wurde. Die Hangars dienen heute als Konzerthallen oder gar als Bühnendächer, zwischen ihnen liegen Open Air Bühnen, Wäldchen mit Lichtinstallationen, Feuerplätze, Essensstände, ein Badesee, Wasserstellen und viele andere Dinge mehr. Das Gelände ist weitläufig – und noch viel größer sind die Zonen für Zelte, Caravans und ausgebaute Busse. Das ganze Gelände ist dabei durchzogen von einem Netz aus Wegen und Straßen, die so wohlklingende Namen tragen wie ‘Emiliano Zapata Allee’, ‘Che Guevara Ring’, ‘Ho Chi Min Pfad’ oder ‘Tamara Bunke Strasse’. Karl Marx, Lenin, Karl Liebknecht, Rudi Dutschke, Haydee Santamaria, die Geschwister Scholl, Frida Kahlo, Tina Modotti, Mahadma Ghandi, Meena, Olga Benario und Rosa Luxenburg sind weitere Namenspaten, darüber hinaus gibt es einen Roten Platz und auch einen Palast der Republik. “Ferienkommunismus” wird hier praktiziert. Das soll die Attitüde der Besucher beflügeln und rechtfertigen, dass es auf dem gesamten Festivalgelände kein Fleisch und keine kommerzielle Werbung gibt. Ich finde das großartig – und komme jedes Jahr wieder gerne nach Lärz – zu den Elektrohippies, Punks und Wochenendfreaks – und, dazwischen, der proletenhaften Mecklenburger Dorfjugend.

Straßenschilder @ Fusionfestival by "Vollefolklore" (Lore)

Ferienkommunismus – das ist auch ein schöner Begriff – weil es mit einem Augenzwinkern den Ausnahmezustand einer gedachten, gefühlten und sicherlich bei so manchem auch irgendwo geträumten Welt beschreibt, in der sich die Menschen gegenseitig unterstützen, man aufeinander eingeht, Grenzen gefühlt und weitgehend respektiert werden, alle zusammen mächtig viel Spaß haben – ohne Alles bis zum Letzten finanziell auszuschlachten. Wenn die Leutchen am Sonntag oder Montag wieder zu Job, Studium und Real Life nach Hause fahren, gelten für (fast) Alle wieder die altbekannten Spielregeln des Miteinanders. Spielregeln einer Gesellschaft, in der Kommunismus nur in Verbindung mit Ferien funktioniert. In der Gewinnstreben und Privatinsolvenz, Harz IV und unbezahlte Überstunden den Alltag bestimmen. Ein Leben zwischen Spamfiltern, Telefonmarketing und personalisierter Werbung. Eine Welt, in der ein mal zur Toilette gehen mit 50 Cent berechnet wird und in der teure Abmahnungen von Rechtsanwälten wegen illegalem Filesharing ins Haus flattern.

Ich möchte an dieser Stelle das weite Feld des Netaudio mit jenem Ferienkommunismus vergleichen, der jedem Teilnehmer ab und zu – und bei Gelegenheit – die Seele streichelt. Netaudio ist bis heute eine Bewegung, die sich gerne ihren Idealismus auf die Fahnen schreibt – und das durchaus zurecht. Aus dem Nichts und ohne irgendwelche finanziellen Ressourcen ist eine enorm große – und in Teilen sehr professionell arbeitende Label- rsp. Musikkulturlandschaft gewachsen. Getragen wird sie von vielen idealistischen Aktivisten, die mit Eifer, Spaß und Engagement Netlabels aufgebaut haben, auf denen die noch viel zahlreicher vorhandenen Musiker endlich all ihre unerhörten Werke unterbringen können, die sie zuhause oder bei Freunden produziert haben. Und selbst wenn kein Netlabel die eigenen Technotracks releasen mag – na: dann gründet man eben schnell sein eigenes Netlabel… Netlabels werben dabei mit der “Aufmerksamkeitsökonomie”, deren Teil sie zu sein vorgeben – und nicht selten haben alle Seiten auch wirklich von den ihr zugrunde liegenden Mechanismen profitiert. So mancher gut gebuchte Liveact hat seine ersten Stücke auf Netlabels veröffentlicht: SCSI-9 oder Kollektiv Turmstraße Kollektiv Turmstraße @ Netaudio Festival 2006 :: by Raimund Reintjeswären zwei Beispiele hierfür aus dem Bereich der elektronischen Musik. Und tatsächlich haben auch manche Künstler die Möglichkeit zum Wechsel zu klassischen Labeln erhalten und genutzt. Nach wie vor kann also das Verschenken der eigenen Werke wirklich dazu führen, bekannt und gebucht zu werden – und damit eben auch Geld zu verdienen. Eifrig wurde – und wird – dann wegen solcher Beispiele auch auf Veranstaltungen wie Netaudio Festivals und CC-Salons in Panels mit Titeln wie “Self-Promotion für Nachwuchskünstler” oder “Wandel von Marktbedingungen der digitalen Musikdistribution” argumentiert, dass “kostenfrei” eben nicht “umsonst” bedeutet.

Eine weitere, gern vorgetragene Facette des Selbstverständnisses besagt zudem, dass die unentgeltliche Abgabe von Musik über das Netz gerade das Gegenteil von illegalen Downloads über p2p-Netzwerke darstellen – denn die Musik erhalte ihren ideellen Wert mit der Masse an Downloads (Aufmerksamkeitsökonomie) – im Gegensatz zu den Kopien, die auf den Festplatten der Filesharer den monetären Wert physikalisch produzierter CDs zusammenbrechen lassen (klassische Marktwirtschaft). Letzteres schmerzt natürlich hauptsächlich die drei Musikgiganten Sony, Universal und Warner, die in den zurück liegenden 40 Jahren das Musikbusiness so umgebaut haben, dass sie ihre immens großen Taschen mit den Erträgen der kreativen Ergüsse ihrer Künstler so voll gestopft haben wie es eben ging. Aber auch die Netlabels stoßen in diese Kerbe – weil mit kostenfreier Musik unter CC-Lizenz eben direkt niemand Geld verdient – und damit das künstlerische Werk der CC-Musiker auch der Verwertungslogik der Screenshot: Twitter Message :: twittered by Curse / Michael KurthGroßkonzerne entzogen ist. So kann sich also der Filesharer als Pirat – und der Netlabel-Betreiber ein bisschen als autonomer Revoluzzer fühlen…

Diese stolze Grundhaltung als Musikkulturrevolutionär wird unterstützt durch die Lizenzierungsform der Creative Commons, die in unseren Landen als die einzige Alternative zur GEMA fungiert. Das GEMA System – da ist man sich seit mindestens 15 Jahren einig – ist ungerecht. Es benachteiligt die kleinen, weniger bekannten Künstler und Nachwuchsmusiker zugunsten der ohnehin bekannten und kommerziell erfolgreichen Stars & Sternchen – die zumeist auch den musikalischen Mainstream bedienen (während die wahre Kunst, die die ausgelatschten Pfade eingängiger Harmonien verlässt, bedauerlicherweise immer nur von einer äußerst kleinen Gruppe von Insidern erkannt wird). Zudem kommt die unüberschaubare Heerschar an Schlager- und Werbemusikkomponisten sowie GEMA-Abräumer im Bereich der klassischen Musik, deren persönliches – und äußerst lukratives – Finanzierungsmodell auf der 87.441sten Interpretation von Mozart oder Debussy basiert.1

Die GEMA ist – wie jeder Monopolist – in ihrem inneren Wesen anfällig für Seilschaften, Korruption und Vetternwirtschaft. Marek Lieberberg, der größte deutsche Tourneeveranstalter, wirft ihr “Toilettenparolen” vor; eine Protestaktion des Irish-Folk-Festivals steht unter dem Motto “Musiker und Veranstalter – Sklaven der GEMA”; die Enquête-Kommission Kultur des Deutschen Bundestages fordert eine Stärkung und erhebliche Ausweitung der Aufsicht über die GEMA – und 106 575 Wahlberechtigte haben die Petition gegen sie unterstützt. Fundiert und deutlich ist auch die Kritik von Berthold Seliger, Konzertveranstalter Berlin (sein Artikel ist auch in Gänze äußerst lesenswert…):

[…] Die Künstlertantiemen werden nach einem hochkomplizierten “PRO-Verfahren” berechnet, das Großkünstler, die ohnedies bereits hohe Einnahmen erzielen, bevorteilt, während kleinere Künstler und Bands benachteiligt werden. Die Ausschüttung der Tantiemen erfolgt nach einem für Normalsterbliche undurchschaubaren Punktesystem. De facto bevorzugt das Pro-Verfahren vor allem die zahlreichen Schlager- und Gassenhauerkomponisten und ihre Verlage.” [Berthold Seliger, in: Monopolist außer Kontrolle, Berliner Zeitung 15. Mai 2010 > link]

Eine Monstermaschine, deren intransparenten und ungerechten Mechanismen sich nun eine wachsende Zahl von CC-Musikern entziehen. Ein weiterer Baustein, so frohlockt man in Kreisen der Netaudio-Ideologen, der die GEMA von unten aushöhlt und ihr der Boden der Relevanz entzieht. An ihre Stelle tritt mit CC nun eine Struktur, die dem Künstler seine Rechte lässt, die keine Mitgliedsgebühr einfordert, die flexibel anwendbar ist und innerhalb des eigenen künstlerischen Werks verschiedene Lizenzierungsmodelle erlaubt. Da schwingt also David den Stein, mit dem Goliath zu Fall kommen soll – und mit dem erhofften, erwünschten und quasi ja schon biblisch prognostizierten Sieg bricht dann das Zeitalter an, in der für CC-Künstler Milch und Honig fließen. Aber kein Geld – oder?

Wenn ich an die zurückliegenden Diskussionen bspw. auf verschiedenen Panels auf dem letzten Netaudio-Festival in Berlin [>link] denke, dann ist mir zwischen den sonstigen doch recht schlafraubenden Gedanken an Liquiditätsfragen, Running Order und Personalumdisponierungen doch auch Zeit geblieben wahrzunehmen, dass die übergroße Mehrzahl der CC-Künstler genau dieselbe Frage umtreibt, wie andere Künstler ohne Starstatus: nämlich wie sie mit ihrer Musik Geld verdienen können. Für die Idealisten der netaudio-Szene stellen solcherlei kommerzielle Gedanken allerdings den CC-Sündenfall dar, der das Einfallstor für allerlei kapitalistische Trojaner öffnet. Sie befürchten, sicherlich nicht ganz zu Unrecht, Argumente aus dem Repertoire non-kommerzieller Gegenmodelle zu verlieren und sehen den Schwung dahin gehen, der aus dem Idealismus erwachsen ist. Der die Szene getragen und groß gemacht hat. Ich hingegen bin der Meinung, dass die Netaudio Bewegung dringend die Frage beantworten muss, welche Schnittstellen und Lösungen sie bereit stellt, um den immanenten und weit verbreiteten Wunsch nach finanziellem Ausgleich für die Zeit und das Level an Professionalität ihrer Protagonisten Rechnung zu tragen. Und damit meine ich nicht nur die Künstler.

logo netlag parties :: by Donovan LudwigIm Dezember 2008 war ich mit meinem Kollegen Donovan Ludwig nach Bologna zum ersten italienischen Netaudio-Festival eingeladen. Zu der Zeit organisierten wir regelmäßig die weltweit erste GEMA-freie Veranstaltungsreihe “netlag” und hatten auch schon unsere Berliner Festivalpremiere absolviert. In einer Café-Galerie im Herzen der historischen Altstadt, dessen Flair durch eine interessante Melange zwischen Fetischkunst und in Heimarbeit hergestellten Veranstaltungsplakaten für queere Studentenparties beschrieben wird, trafen wir die Veranstalter des Festivals. Ihre erste inhaltliche Frage bezog sich darauf, ob wir in der Lage wären, von unseren Netaudio-Aktivitäten zu leben. Bevor wir lachend verneinen konnten, lagen ihnen die nächsten Fragen schon auf der Zunge – nämlich wie wir dies bewerkstelligen würden und was davon übertragbar sei auf ihre Situation. Tatsächlich war es so, dass sie ein wenig wie aufgeregte Schuljungen auf ihren Stühlen hin- und herrutschten, obwohl unsere Freunde allesamt auf gutem Wege waren, in bürgerlichen Berufen ordentliches Geld zu verdienen.

nettare Festival in Bologna :: by Raimund ReintjesIch denke, dass ist ein gutes Sinnbild für das was ich meine: Ihr Idealismus, non-kommerzielle Labelarbeit und die Förderung von Nischenmusik über Netlabel und Netaudio Festivals zu befördern, hatte für alle das aufregende Ziel, damit in hoffentlich naher Zukunft seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Von diesem Geist, und nicht etwa durch die Teilhabe an einer altruistisch überhöhten Verschenkökonomie, war ihr Engagement getragen und motivierte die Italiener zu Investition von Zeit und professionellen Fähigkeiten. Es war nicht die Aussicht, an den Lagerfeuern späterer Tage Geschichten vom eigenen edelmütigen Rittertum im Musikbusiness erzählen zu können. Es war die Vorstellung, eine eigene existenzielle Basis mit dem Thema Netaudio und Creative Commons verbinden zu können, die sie begeisterte.

Ein Mitorganisator der Cologne Commons, Labelbetreiber und Creative Commons-Musiker indes machte vergangenen Sommer im Rahmen eben jenes Kölner Festes deutlich, dass er mit der Aussage “Ein Musiker braucht kein Geld” ernsthaft und solide Diskussionen zu bestreiten vermochte. Auf dem anschließenden zweiten Berliner Netaudio Festival wiederholte er seine durchaus mit der Lust zum akademischen Disput vorgetragenen Aussage, diesmal auch genüsslich in die Mikrofone verschiedener Radio- und Fernsehanstalten, die neugierig geworden waren auf die Aktivitäten der Berliner Netaudio Community. Für mich klingt diese Aussage in ihrer Absolutheit nach mehr als nur provokanten Thesen zur Vertreibung kapitalistischer Konterrevolutionäre oder profitorientierter Trendscouts: für mich klingt sie ebenso scheinheilig wie elitär. Richtig ist: Die übergroße Mehrheit aller Musiker aller Zeiten konnte nicht (allein) von ihrer Kunst leben. Zumeist mussten sie andere Jobs annehmen – die rein gar nichts mit ihren musikalischen Fähigkeiten zu tun hatten. Einen irgendwie gearteten Gegenwert erhielten sie bestenfalls, indem sie für ein Bier in der Schenke aufspielten oder für ein Schlafplatz unter’m Dach. Kaum ein Knabe im katholischen Internat hat für seine Chormitgliedschaft je mehr Gegenleistung bekommen als dann und wann Applaus von Zuhörerschaften – und vielleicht ein paar fromme Streicheleinheiten. Auch die Posaunisten vor Jericho, im Erstberuf Priester, mussten nach fulminanter Darbietung auch noch ihrer weiteren Nebentätigkeit als israelischer Schwertkämpfer nachgehen.

Dass ein Musiker kein Geld brauchen würde und von Luft, Liebe und der Muse allein leben könnte, habe ich andernorts noch nie gehört. Musiker, die kein Geld brauchen, haben genug davon – oder sie haben Mäzene. Beides sind für mich elitäre Umstände, die nicht ernsthaft als Grundlage für musikalische – oder andere künstlerische Betätigung gefordert werden können. Oftmals ist der musikalische Schaffensprozess ausgelöst durch die schlichte Freude am Tun oder einem inneren Drang, Musik machen zu müssen – um beispielsweise den Dämonen des eigenen Ichs entfliehen zu können. Ist Letzteres der Fall, verlaufen die Biographien dieser Protagonisten gerne auch mal in die totale Verarmung, in den Wahnsinn resp. den Freitod – alternativ oder auch nacheinander. Selten reicht es zu Rum, Ehre und einem Lotterleben mit unbegrenztem Zugriff auf Champagner, Groupies und Aktenkoffer voll Kokain. Und wenn: Dürfte so etwas überhaupt sein, im Ferienkommunismus der musikalischen Verschenkökonomie?

Nun… Meiner Meinung nach bezieht CC-Musik seine Stärke nur bis zu einem gewissen Punkt über die kostenfreie Weitergabe an den Konsumenten, nämlich um damit überhaupt eine Basis für eine breite Wahrnehmung des Künstlers und seines Werkes zu schaffen. Das Motiv für das Verschenken der Musik kann oft recht simpel als Werbeaufwand beschrieben werden, um dem Künstler bei Erfolg weitere Schritte (!) zu ermöglichen. Diese müssen ganz sicher nicht (nur) darin bestehen, in Zukunft seine produzierte Musik ganz – oder teilweise – zu verkaufen, sondern zunächst und verstärkt darin, ihm mit Hilfe der veröffentlichen Referenzen Bookings und Engagements zu verschaffen. Zweifellos mag es, wie vielleicht im Falle des Kölner CC-Aktivisten, manchen Künstlern auch um die Freiheit gehen, Kunst im kommerzfreien Kontext anzubieten. Ja – auch eine solche Nutzungsvariante wird durch die vorhandenen Strukturen perfekt bedient. Diesseits und jenseits der kommerzfreien Kulturlandschaft geht es bei CC indes auch um die Wiederentdeckung von Fairplay-Regeln im Musikbusiness, bei denen der Künstler seine Mündigkeit, die Kontrolle über sein Werk und damit seine Würde behält (was ihm nicht selten – und dann umfassend – mittels Knebelverträgen von den drei Majors und den ihnen zuarbeitenden Sublabels allzu flott abhanden kommt). Es geht um die Möglichkeit, den kreativen Schaffensprozess zu unterstützen und nicht durch ein Lizenz- und Urheberrechtsreglement zu strangulieren, das an den Interessen einer Vielzahl ihrer Komponisten und Produzenten vorbei geht.

Es geht bei Netaudio außerdem darum, den Künstler auf dem Weg der eigenen Professionalisierung zu begleiten, ihm Möglichkeiten der Präsentation seiner Werke zu geben – sei es über Netlabels oder live, beispielsweise auf Netaudio Festivals. Doch wer sagt, dass wenn der Künstler einen Sound entworfen hat, der funktioniert, wenn seine Fan-Basis angewachsen ist und das Interesse an seiner Musik größere Kreise erfasst, er den kuscheligen Platz im Schoße der Netaudio-Gemeinde aufzugeben hat? Bisher muss er dies beinahe zwangsläufig tun, denn aus der Netaudio Bewegung heraus gibt es kaum Alternativen, bislang jedenfalls. Eine davon ist die Weiterentwicklung des Ein-Schienen-Netlabel-Prinzips zum mehrgleisigen Hybridlabel – mit sowohl kostenfreien als auch kostenpflichtigen Bereichen. Zwei der durchaus zahlreich vorhandenen Beispiele, wo diese parallele Struktur erfolgreich praktiziert wird, sind etwa Foundsound/ Unfoundsound aus Philadelphia oder Jahtari aus Leipzig. Beide Labels haben den Vorteil, schon sehr früh, bzw. von Beginn an auf die duale Struktur gesetzt zu haben. Sie müssen ihre Fangemeinde nicht erst daran gewöhnen, dass bestimmte Veröffentlichungen kostenpflichtig sind – eine Hürde, an der bspw. Thinner – das seinerzeit umfangreichste, erfolgreichste und vielleicht qualitativ beste Netlabel Deutschlands – beim Sprung vom reinen Netlabel zum Hybridlabel offenbar gescheitert ist. Wurde der Betrieb des Sublabels autoplate [> link] bereits 2008 eingestellt, so datiert die letzte Veröffentlichung auf Thinner von November 2009. Hierzu ein kleiner, beispielhafter Exkurs in Eike Kuehls Argumentation in “Netaudio Revisted” – auf seinem Blog “thelastbeat.com” [> link]:

Es sei gesagt, dass ich kein dogmatischer Netlabelfanatiker bin, und eher als Außenstehender die Sache betrachte, was meine Meinung sicherlich beeinflusst. Auch sehe ich in Netlabels nicht mehr die ‘Revolution’, die sich viele vielleicht einmal erhofft haben. So sehr ich die Philosophie und die Einstellung auch mag – Musik wird immer eine Ware bleiben, nicht zuletzt für den, der sie produziert und auch davon leben möchte.[…]

Einer der Gründe, warum ich mich nach einer Weile der intensiven Beschäftigung mit Netlabels wieder abgewandt habe, ist die Masse der Releases, die in den letzten 2-3 Jahren aufgetreten ist, und das bei alles andere als gleichbleibender Qualität. Klar, es braucht auch niemand das 100ste Minimal-Vinyl-Label aus Berlin, aber eine Qualitätskontrolle ist bei Netaudio häufig nicht oder in geringerem Maße gegeben. Es gibt viele halbherzig und teilweise auch amateurhaft geführte Netlabel, die damit Aufmerksamkeit erzielen wollen. Tatsache ist aber, dass ein gutes Netlabel eben auch A&R [Artist & Repertoire] bildet, die Sachen professionell mastern lässt, für einheitliches Artwork sorgt und zudem auch noch die Promotion macht, um seinen Künstlern eben den Sprung nach oben zu ermöglichen. Und genau das kostet Geld und vor allem Zeit. Das gleiche Problem habe ich schon mit diesem Blog, und ich habe noch nicht mal ansatzweise die Arbeit damit wie sie Netlabel wie Thinner haben. Das man irgendwann eine Entscheidung treffen muss, und diese eben pro oder kontra finanzielle und eben nicht nur idealistische Entschädigung geht, ist quasi unumgänglich. Wer sein Netlabel nur für seine Kumpels betreibt, wird sich darüber keine Gedanken machen müssen, wer allerdings ein ernsthaftes Sprungbrett sein will, muss sein Modell vielleicht wirklich anpassen (was die Argumentation von Thinner ist) […].

logo thinner netlabel :: by thinner group gbr Die Frage ist letztendlich, ob Thinner mit seinem Entschluss die Netlabel Szene ‘verraten’ hat, wie es einige anscheinend denken. Ich glaube nicht, Thinner ist seit jeher eines der professionellesten Netlabels gewesen, und von daher auch zu Recht vielleicht das Netlabel schlechthin. Den Entschluss sehe ich daher weniger tragisch, sondern vielmehr als Konsequenz. Inzwischen haben selbst renommierte Labels ein digitales Sublabel, andere gründen von Anfang an eines (siehe Joachim Spieth und Affin) […] Letztendlich sollte sich jeder selbst Gedanken darüber machen, wie viel er für gute Musik bezahlen möchte, egal wo sie herkommt. Die Musik zu ignorieren, nur weil sie jetzt [etwas] kostet, widerspricht meiner Meinung nach dem kompletten Prinzip.”

Über Thinner ist ja im vergangenen Jahr ausführlich debattiert worden – letztendlich ist sein Niedergang ein weiterer prominenter Verlust ambitionierter und professioneller Labelarbeit – wie er zuvor bereits bei Kikapu, 1Bit Wonder, Epsilonlab, Kyoto Digital, Textone, Realaudio und Digilog eingetreten ist. Andere werden folgen. Die zahlreichen Hobbylabels indes, die das Fähnchen des Ferien-Kommunismus oftmals am heftigsten schwenken, vergehen gerne im Stillen – oder leben zombihaft in der Zwischenwelt von Scheintod und der gelegentlichen Veröffentlichung von Elektronikgefrickel des eigenen Freundeskreises. Das Ende manch ambitionierten Netlabels weist also auf ein paralleles Dilemma der Netlabels zu dem der CC-Musiker hin, die mit fortschreitender Entwicklung und zunehmender Professionalisierung vor der Frage stehen, wie sie mit ihrer geliebten und zwischenzeitlich allzu zeitraubenden Labelarbeit irgendwie ihre Existenz sichern können. Und wenn Creative Commons und Netaudio für Selbstbestimmung und Fairness stehen, dann stellt sich also die erweiterte Frage: Wie können Künstler und Labelmacher mit CC-Musik Geld verdienen, ohne radikal vom eingeschlagenen Pfad und seinen Tugenden abweichen zu müssen? Und wie könnte ein faires Verteilungssystem zwischen den Akteuren aussehen?

Einen monetären Ansatz bieten die bereits hier und da praktizierten Labelpartys, die neben Künstlergagen auch Gewinnmöglichkeiten für den Veranstalter – das Label – bereit halten können (und sollten). Gehen wir einmal kurz davon aus, dass zwar im ein- oder anderen Fall ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko bei der Durchführung von Veranstaltungen bestehen kann – doch je nach Arrangement mit den Label-eigenen Künstlern i.d.R. dramatische Pleiten ausgeschlossen werden können. Doch wenngleich hier tatsächlich Geld mit CC-Musik für beide Seiten generiert werden kann: diese Form der Aktivität erfordert zusätzliches Engagement und ist i.d.R. noch nicht dazu geeignet, den Aufwand der Labelarbeit jenseits dieser Partys zu finanzieren. Aber sie kann doch dazu führen, einen Einstieg in ein monetär angereichertes Musikbusiness zu finden. Thinner-Labelhead Sebastian Redenz schrieb dazu auf dem leider bereits offline gegangenen Blog “thinnerism” Ende 2008:

flyer pentaginik (netlabel) party :: by Donovan Ludwig“I recommend to try to get the artists placed within strong line-ups which activate a lot of people anyway, instead of doing obscure Netlabel-only shows which are designed for the few specialists who cherish netlabels already. Being involved in such small scaled events underlines the image of Netlabels being a scene apart.”

Last.fm-user WennEsAnfängt schreibt in seinem Blogbeitrag “The Death Of Thinner Netlabel” [> link] ergänzend:

“Acquiring shows and booking is a hard business and therefore unattractive to the netlabel as well as to the artists. It makes more sense to get appearances in clubs that doing parties regularly. But I contradict that parties are essential to promote [one’s] releases. As far as I experienced with small CLs [Commercial Labels], doing parties are often the only way to generate income for artists, since selling (physical) records does not return much (usually you don’t get more than the advance and any addionally ROIs [Return On Investment] go to the label to compensate their efforts). Thus, records are more the way to get oneself a name and to generate audience on parties [than with free digital releases only].”

Wenn ein Netlabel dafür da ist, Aufmerksamkeit auf die Arbeit seiner Künstler zu lenken, so besteht i.d.R. bei diesen Künstlern auch der Wunsch, nicht nur auf Label-eigenen Partys zu spielen sondern auch von anderen Veranstaltern gebucht zu werden. Das ist indes keine ursprüngliche Labelarbeit – und auch die Künstler selber haben nicht immer das notwendige Talent, die Kontakte oder ausreichend Zeit für solcherlei Aktivitäten. Im Normalfall des herkömmlichen Musikbusinesses ist dies Aufgabe einer Booking-Agentur. Eine Booking-Agentur für Netaudio-Künstler, die vielleicht mit verschiedenen Labels kooperiert, könnte eine solche Lücke füllen, im Erfolgsfall regelt ein Verteilungsschlüssel die Größe der finanziellen Kuchenstücke für jede Seite. Die Agentur ist dann spezifisch dafür da, Kontakte zu Veranstaltern und Locations aufzubauen, die entweder Netaudio als profilbildende Marke resp. USP (engl. unique selling proposition = Alleinstellungsmerkmal, Anm. d. Hrsg.) begreifen können oder dem eigenen Publikum neue, unverbrauchte Sounds ambitionierter Newcomer – und/oder die aus ihnen hervorgehenden musikalischen Zugpferde präsentieren wollen. Auch wenn es bis dato keine Beweise dafür gibt, dass eine entsprechende Agentur funktioniert: Ich glaube, dass hier bis dato ungenutztes Potenzial liegt.

Eine weitere Möglichkeit, Geld zu generieren besteht in der gewerblichen Nutzung von CC-lizenzierter Musik. Das Berliner Prima!-Projekt beispielsweise arbeitet an einem Modell, CC-Audiostreams für die gewerbliche Nutzung von Szeneläden über Fitnessstudios bis hin zu Hotelketten und weiteren Abnehmern anzubieten. Penibel genau kann im Rahmen der verschiedenen und vom Kunden individuell konfigurierbaren Streams erfasst werden, welcher Song von welchem Künstler wie oft eingespielt wurde – die dafür fälligen Gebühren liegen deutlich unter dem GEMA-Standard – aber deutlich über Null – und können wiederum für den CC-Künstler, dem kooperierendem Netlabel, dem Streamanbieter sowie dem gewerblichen Abonnenten monetäre Vorteile bringen.

logo prima.fmEs gibt noch einige weitere Geschäftsfelder, in die CC-Künstler, Netlabels und der mit ihnen verbundenen Strukturen stoßen könnten, doch ist bis dato keins der genannten Projekte als Geschäftsmodell erprobt. Die Beispiele sollen indes aufzeigen, dass jenseits der klassischen GEMA-lizenzierten Geldkreisläufe Möglichkeiten für das Netaudio Feld bestehen, seine eigenen Instrumente zu entwickeln, im Bedarfsfall (!) dem Laufstall der Aufmerksamkeitsökonomie zu entwachsen. Es erscheint mir ein notwendiger, vielleicht sogar für die Netlabellandschaft insgesamt überlebenswichtiger Schritt zu überlegen, wie die Grassroot-Bewegung der non-kommerziellen Netlabels einen zusätzlichen, professionellen Zweig bekommen kann, der auch in kommerzieller Hinsicht funktioniert. Denn wenn dies nicht bald aus aus der Bewegung selbst heraus geschieht – geschieht es entweder durch Dritte (siehe beispielsweise den Musikservice Jamendo und sein ‘Pro’-Programm…) – oder die Netlabels verlieren dauerhaft die Möglichkeit, jemals einen anderen Stellenwert zu erlangen als die Ferien- und Freizeitliga, in der sie bestenfalls als Nachwuchsförderplattformen dienen – und von dem das ein- oder andere Talent im Idealfall den Absprung ins Profilager der kommerziellen Labels schafft. Das, meine ich, wäre eine sträfliche Verachtung des Potenzials, das dem CC-Ansatz innewohnt. Ich finde es eine schmerzliche Vorstellung, Netaudio in der Bedeutungsarmut zu belassen, die fast ausschließlich von eifrigen aber amateurhaften Ferienkommunisten bevölkert wird. Musikaktivisten mit professionellen Absichten werden dann wohl zunehmend von einer Perspektivlosigkeit des Netaudio-Ansatzes abgeschreckt sein und sich in professioneller Hinsicht dafür entscheiden, Zeit und Energie besser in lukrativere Bahnen zu lenken. Was letztlich für die ambitionierten Musikschaffenden und ihre Werke als Alternative zur Selbstvermarktung resp. Anbiederung an den Sony-BMG-Universal Clan bleibt, sind die Feierabendlabel. Es bleibt eine Labellandschaft, die geprägt ist von wechselhaften, diskontinuierlichen und endlichem Engagement ihrer Betreiber, die in ihrer Prioritätenliste fast zwangsläufig die Labelarbeit nachrangig ihrer Existenzsicherung und karriereweisenden Entscheidungen betrachten müssen. Was für den Konsumenten bleiben wird, ist eine fluktuierende, unüberschaubare Netaudio-Landschaft ohne Leuchttürme und zugkräftige Motoren – und mit insgesamt vergleichsweise niedrigen Qualitätsstandards.

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1 Die ‘zeitlosen Klassiker’ werden überdies dann gerne noch in den Rahmen eines Kulturbetriebs inszeniert, bei dem keine einzige Aufführung in Deutschland sich selbst frei – d.h. über Eintrittsgelder und private Sponsoren finanzieren könnte. Müssten die Schmarotzerfische der Musikwelt unter den Bedingungen arbeiten wie zeitgenössische Musiker, so würden wir ab morgen ausschließlich moderne Musik zu hören bekommen. Interpreten der Klassik und anderer Werke aus verstaubten Epochen der Musikgeschichte wären dann die musikalischen Randnotizen – und ihre zugegeben epochalen Werke würden nur noch für wirkliche Liebhaber aufgeführt, die dann natürlich auch den angemessenen Eintrittspreis für beispielsweise die 42 Geiger, 15 Bratschisten, 13 Violincellisten und den Rest der 127 Musiker der Berliner Symphoniker zahlen müssten. Noch nie habe ich verstanden, warum (wie in diesem Beispiel) im audio-technischen Schlaraffenland unserer Tage 23 erste Geigen zur adäquaten Aufführung notwendig sein sollen… Vielleicht kann nur auf diese Weise der weithin unerforschte Rezeptor jener Vertreter der Repräsentationskultur angesprochen werden, der sie in den Foyers der Samt- und Blattgoldsäle unserer Konzertpaläste zum Champagner schlürfen animiert? Recht verstanden: Ich plädiere an dieser Stelle nicht für einen Subventionsstopp für klassische Musik – es geht auch hier (s.u.) um Verteilungsgerechtigkeit…

Creative Commons Lizenzvertrag
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